07.03.2022
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Das Leben für afghanische Frauen hat sich unter der Talibanherrschaft drastisch verschlechtert. Foto: Unsplash / Joel Heard

Jahrelang haben sie sich in Afghanistan für Frauen- und Menschrechte engagiert – und werden dafür von den Taliban bedroht. Zarafschan wartet in der Illegalität auf Rettung, Subda hat es kürzlich nach Deutschland geschafft. Beide Frauen berichten von ihrem Kampf, von Drohungen, Ängsten und Hoffnungen.

Drei Fragen an Zarafschan B. (Name geändert): 

Zarafschan B. hat sich  in zivil­ge­sell­schaft­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen, in poli­ti­schen Gre­mi­en und in Regie­rungs­stel­len für die Rech­te und den Schutz von Frau­en, Men­schen­rech­ten und die För­de­rung von Demo­kra­tie ein­ge­setzt. Zudem arbei­te­te sie in Pro­jek­ten für meh­re­re inter­na­tio­na­le Institutionen. 

Sie ist zudem Mit­glied der Grup­pe »United Voice of Women for Peace«, die 2019 vom afgha­ni­schen Frie­dens­mi­nis­te­ri­um gegrün­det wur­de. Die Grup­pe soll­te Frie­dens­ver­hand­lun­gen der afgha­ni­schen  Regie­rung mit den Tali­ban mit vor­be­rei­ten und beglei­ten. Beson­ders gefähr­det ist sie auch des­halb, weil sie immer wie­der in den Medi­en sprach und schrieb, an Frau­en­pro­tes­ten und ‑kund­ge­bun­gen teilnahm.

Sie ist mit ihrem Mann und ihrer Fami­lie nach Paki­stan geflo­hen und war­tet in der Ille­ga­li­tät auf Ret­tung. In Deutsch­land hat sie Verwandte. 

Wie hat sich Ihr Leben seit August 2021 ver­än­dert? Wie leben Sie jetzt im März 2022?

Seit dem Zusam­men­bruch von Afgha­ni­stan und der Macht­er­grei­fung der Tali­ban lebe ich in Angst und Ver­zweif­lung, so wie tau­sen­de afgha­ni­sche Bür­ge­rin­nen und Bür­ger.  Ich ver­lor mei­ne Arbeit, mein Mann eben­falls, unse­re Kin­der  konn­ten nicht mehr zur Schu­le gehen. Ihre Zukunft ist rui­niert, da sie der Bil­dung beraubt wurden.

Die Tali­ban bedroh­ten uns und such­ten auf alle mög­li­chen Wei­sen nach uns, wir konn­ten unser Haus in unse­rer Pro­vinz nicht mehr ver­las­sen, waren dort ein­ge­sperrt und bedroht.  Auf dem Höhe­punkt von Angst und Ver­zweif­lung muss­ten wir schließ­lich flie­hen. Nun lebe ich ohne Zukunft und ohne Hoff­nung in Paki­stan unter erbärm­li­chen Bedin­gun­gen. Seit mehr als drei Mona­ten reagiert kei­ne Insti­tu­ti­on in Deutsch­land auf unse­re Hil­fe­ru­fe. Unser Auf­ent­halts­vi­sum ist  abge­lau­fen, und es ist nicht klar, was mit uns pas­sie­ren wird.

Weil ich eine Frau bin, darf ich in Afgha­ni­stan nicht mehr arbei­ten, nicht mehr in der Öffent­lich­keit auf­tre­ten, nicht mehr rei­sen –  die Tali­ban ver­wei­gern uns Frau­en alle Men­schen­rech­te. Die Tali­ban sehen eine Frau nur als  Sex­skla­vin, die die Pflicht hat, die sexu­el­len Bedürf­nis­se eines Man­nes zu befriedigen.

Hun­der­te von Frau­en, die gegen die Tali­ban pro­tes­tier­ten, wur­den ver­haf­tet und ein­ge­sperrt und vege­tie­ren unter schlimms­ten Bedin­gun­gen in den Gefäng­nis­sen. Vie­le von ihnen wur­den im Gefäng­nis ver­ge­wal­tigt. All das zeigt, wel­ches Schick­sal  Frau­en seit August 2021 in Afgha­ni­stan ertragen.

»Hun­der­te von Frau­en, die gegen die Tali­ban pro­tes­tier­ten, wur­den ver­haf­tet und ein­ge­sperrt und vege­tie­ren unter schlimms­ten Bedin­gun­gen in den Gefängnissen.«

War Ihre Tätig­keit auch schon gefähr­lich, bevor die Tali­ban  die Macht wie­der an sich rissen? 

Ja. Aber ich habe die­se Gefahr bewusst in Kauf genom­men, weil ich glau­be, dass Gleich­heit und sozia­le Gerech­tig­keit in unse­rer Gesell­schaft nicht ohne Opfer und Beharr­lich­keit erreicht wer­den kön­nen. Ich kämp­fe seit Jahr­zehn­ten für die Men­schen­rech­te und die Gleich­be­rech­ti­gung von Frau und Mann. Frie­den und Gerech­tig­keit sind die wich­tigs­ten Wer­te in mei­nem Leben, weil ich glau­be, dass eine Gesell­schaft ohne sozia­le Gerech­tig­keit, Frie­den und Men­schen­rech­te kei­nen Wohl­stand, Gleich­heit, Sta­bi­li­tät und Fort­schritt errei­chen wird.

Wur­den Sie damals auch bedroht?

Ja, als ich schon vor mehr als 20 Jah­ren in die Dör­fer mei­ner Hei­mat­pro­vinz ging, um Mäd­chen und Frau­en zu unter­rich­ten, wur­de ich wie­der­holt von Dschi­had-Kom­man­dan­ten, Stam­mes­äl­tes­ten und ört­li­chen Auf­stän­di­schen bedroht. Aber da ich aus einer ange­se­he­nen Fami­lie stam­me, wag­ten es nur weni­ge Auf­stän­di­sche, mich direkt anzu­grei­fen. Doch sie droh­ten mir so deut­lich mit dem Tod, dass ich nach Kabul flie­hen muss­te. Auch in der Haupt­stadt wur­de ich immer wie­der bedroht, aber wegen der dama­li­gen Ord­nung und Ver­fas­sung konn­ten extre­mis­ti­sche Grup­pen ihre Dro­hun­gen gegen mich nicht umset­zen und mich nicht ermorden.

Den­noch bin ich auch spä­ter wie­der in die Dör­fer gegan­gen, habe Reden gehal­ten und über das Frau­en­wahl­recht und die Betei­li­gung der Frau­en am poli­ti­schen Sys­tem gespro­chen. Außer­dem habe ich Mäd­chen ermu­tigt, in die Schu­le  zu gehen, denn nichts ist wert­vol­ler als Wis­sen für eine Gesellschaft.

Doch nun, seit der Macht­er­grei­fung der Tali­ban, bin ich ihnen ausgeliefert.

Drei Fragen an Subda A. (Name geändert): 

Sub­da A. hat in Afgha­ni­stan als Jour­na­lis­tin gear­bei­tet, enga­gier­te sich in poli­ti­schen Gre­mi­en, war für Regie­rungs­stel­len tätig und in Frau­en­grup­pen aktiv. 

Sie ist zudem Mit­glied der Grup­pe »United Voice of Women for Peace«, die 2019 vom afgha­ni­schen Frie­dens­mi­nis­te­ri­um gegrün­det wur­de. Die Grup­pe soll­te Frie­dens­ver­hand­lun­gen der afgha­ni­schen  Regie­rung mit den Tali­ban mit vor­be­rei­ten und beglei­ten. Beson­ders gefähr­det ist sie auch, weil sie in den Medi­en sehr prä­sent war.

Anfang März konn­te sie end­lich nach Deutsch­land aus­rei­sen, bis dahin leb­te sie in unter­schied­li­chen Verstecken.

Wie hat sich Ihr Leben seit August 2021 ver­än­dert? Wie leb­ten Sie, bis Sie vor ein paar Tagen nach Deutsch­land aus­rei­sen konnten?

Die Zeit seit der Macht­er­grei­fung durch die Tali­ban im August 2021 war sehr hart für mich. Ich konn­te  nichts mehr tun von dem, was ich vor­her getan habe, mich nicht mehr für poli­ti­sche Teil­ha­be von Frau­en, Mei­nungs­frei­heit  und  Bil­dung  enga­gie­ren und nicht mehr arbei­ten.  Ich war  stän­dig unter­wegs, weil ich mich immer wie­der neu ver­ste­cken muss­te. Und nun muss ich in Deutsch­land ganz neu anfangen.

Zu Beginn der neu­en Tali­ban-Ära hat­te ich noch mit ande­ren Frau­en zusam­men laut­stark und mit Trans­pa­ren­ten  auf der Stra­ße  pro­tes­tiert, weil im neu­en Tali­ban-Kabi­nett kei­ne Frau­en waren und weil Men­schen zwangs­ver­trie­ben wur­den.  Danach umstell­ten die Tali­ban mei­ne Woh­nung und ver­haf­te­ten mich.

»Des­halb kann ich auch jetzt, wo ich selbst in Sicher­heit bin, mei­nen Namen nicht nen­nen, weil mei­ne Fami­lie wei­ter­hin bedroht ist.«

Wer­den Sie bedroht? 

Ja, nach mei­ner Ver­haf­tung und Frei­las­sung hat­te ich in mei­nem Leben sehr  vie­le Schwie­rig­kei­ten, weil sie mit ihren Dro­hun­gen nicht nach­ge­las­sen haben.  Mei­ne  Prä­senz in den sozia­len Medi­en habe ich been­det, aber den­noch bekam ich wei­ter Dro­hun­gen. Mein Vater, der mein Enga­ge­ment immer eher kri­tisch sah, hat­te  gro­ße Angst, dass ich nun doch noch für die Ver­tei­di­gung der Men­schen­rech­te und der Frau­en­rech­te ster­ben könnte.

Und noch an dem Tag, an dem ich end­lich in Deutsch­land ankam,  stan­den Tali­ban-Kämp­fer bei Ver­wand­ten von mir vor der Tür, haben das Haus durch­wühlt und zum Bei­spiel das Auto mit­ge­nom­men.  Des­halb kann ich auch jetzt, wo ich selbst in Sicher­heit bin, mei­nen Namen nicht nen­nen, weil mei­ne Fami­lie wei­ter­hin bedroht ist.

Mei­ne Bit­te an die Deut­schen ist, die afgha­ni­schen Frau­en und auch die Grup­pe »United Voice of Women für Peace« nicht zu ver­ges­sen. Frau­en und Kin­der lei­den beson­ders unter den Tali­ban, auch psychisch.

»Mei­ne Bit­te an die Deut­schen ist, die afgha­ni­schen Frau­en und auch die Grup­pe »United Voice of Women für Peace« nicht zu vergessen.«

War Ihre Tätig­keit auch schon gefähr­lich, bevor die Tali­ban die Macht wie­der an sich rissen? 

Ja, ich wur­de auch damals schon vie­le Male auf ver­schie­de­ne Arten und Wei­sen bedroht. Aber das konn­te mich zunächst nicht von mei­nen Akti­vi­tä­ten abhal­ten. Schließ­lich muss­te ich aber doch  im Jahr 2020 eine Stel­le in einem Frau­en­pro­jekt kün­di­gen, weil ich zu sehr bedroht wurde.

Ich habe als Jour­na­lis­tin gear­bei­tet, mich poli­tisch enga­giert und in Frau­en­grup­pen gear­bei­tet. Wich­tig sind mir Frei­heit, Bil­dung, poli­ti­sche und wirt­schaft­li­che Teil­ha­be von Frau­en, Mei­nungs­frei­heit und die fort­schritt­li­che Ent­wick­lung der Gesellschaft.

(wr/aa)